so hell (das letzte abschiedsgedicht)
ein engel fiel herab zu mir
und als er mich erblickte,
brach sein flügel.
ich hielt ihn lang
in meinem arm
und hoffte ohne wort,
doch seine schwinge
heilte nicht,
so nah bei mir.
erst als ich los ließ,
wurde für ihn alles gut.
er hob die flügel
hoch und stolz,
berührte mit dem
finger meine stirne.
mein lächeln
trug ihn weit hinaus.
ich blieb zurück
mit offnen händen.
es war so hell,
dass ich die augen schloss.
Knotentod, landweit, einwärts.
Gerissen die Taue.
Los!
Ruder verloren,
der Bug schneidet Weg,
die Wellen wie Schollen
im Zuge sich bäumen
wie Fleisch noch behäutet
schon einführend abwärts
Im Fallen noch fangen ein Leben –
gut ankern im Schrei. Weit vorwärts
der Mund,
die Laute erstickend,
bevor er doch bricht.
kleine Vögel
fliegen über die Klippen hinaus
Auf Schwingen,
die wir bauen wollten
doch wir fielen tief
denn neben den Vögeln
liegt die Wahrheit über das Fliegen
Das schwere Jetzt
Langsam klingt unser Ton herab/ringt in die wendige Höhlung des Anfangs/
Einen Pfad aus Geduld und Frühe./Der korngelbe Puls,/Still durchstrebt er unsere Fuge./Unter jener Bruchstelle, brunnenrot, wölbt sich,/Wieder und wieder schwellend,/Die zweisame Hautwurzel./Im Getrenntsein schweigt sie uns zusammen.
Die Schuhe des Willy Fritsch,
Krokodilleder, braun, Größe 40.
Ich ziehe sie an und gleich wieder aus.
Sie sind nicht, wie jene auf den Schuhbergen im Osten.
Ihre Geschichte ist die Gegengeschichte.
Es sind daher die Schuhe, mit denen man diese Berge besteigen kann,
es sind die Bergschuhe für die Schuhberge in Auschwitz.
Kindheit auf dem Lande
Ein kleines Mädchen, ein Mann, schön wie ein Hüne, der Bauer. Die Schweine, entkommene Schweine, im Hof. Das Mädchen, die Treppe, die Furcht vor den Tieren. Der Mann, seine Wut. Die eiserne Stange. Das Mädchen, die Treppe: der Papa. Die Schweine im Hof. Zusammengetrieben. Der Mann mit der Stange, die Fratze, der Schlag, dumpfer Schlag. Das kreischende Schwein. Die Augen des Mädchens, ganz offen. Es sieht. Das Platzen. Das Schreien. Das Schreien. Die Fratze, der Hüne, die Tobsucht, die Stange. Den Papa, das Blut auf den Rücken der Schweine, die Angst. Die Augen des Mädchens, das Blut und die Stange, die Ohren des Mädchens, das Schreien, die Flüche. Das Stehen und Schauen. Wie klein es noch ist. Nur Augen und Ohren. Der Papa, die wütende Stange, das strömende Blut.
Jetztmoment Bürkliplatz Zürich
Die Weise wie sich die mattgrüne Parkbank unter meinem Hintern anfühlt, die leichte Kühle, das saubere Licht in Blau, der See mit den kleinen Booten und den Ausflugsschiffen. Die lärmenden Italiener in Matrosenverkleidung, die Südamerikanerin neben mir. Wie ihre Füße mit den schwarz lackierten Zehennägeln auf den abgestreiften Schuhen ruhen. Der Mann mit dem karierten Hemd. Sein Blick auf den See geht in die Vergangenheit. Die Krähe auf der Mastspitze der Schiffsflagge. Zwei Männer, die sich gegenseitig fotografieren, ohne es zu merken. Die Verkehrsgeräusche, der nach oben offene Raum.
22.06.2013
Müritz Ostsee 1923/2013
Ich stand lange am Strand gestern, ich stand so lange bis ich selbst der Strand wurde, ich stand so lange, bis ich hier aufgewachsen war, jeden Sommer meiner Kindheit hier verbracht hatte, ich stand so lange, bis mir jeder Winkel, jeder Baum vertraut war, jede Schwingung der Küstenlinie, so lange, dass ich neun Jahrzehnte überwand, das Meer sah, den weißen Sand, die mit Davidsternen geschmückten Strandkörbe, den Himmel und den großen blassen Mann, wie er, abwesend, in eine Decke gehüllt, zum Horizont blickt. Ich stand so lange, bis alle Zeit ausgestanden war und ich zu verstehen begann, was mit „gesteigerter Erlösung“ gemeint sein könnte.
Keines ist hier,
füllt mich mit Leben,
gibt leicht einen Auftrieb der Nacht.
Solche sind viele und
Rettungen wenig.
Die Fragen behelfen uns über den Grat.
Ein Messer, die Klinge,
zu tanzen noch mehr Pirouetten
im Mantel der Angst.
Doch der hat ein Loch
Und hält nicht mehr fehl.
So irren wir wütend, denn wer will schon frei sein?
Das gilt es zu wandeln,
die Klinge zu drehen
dem eigenen Herzen zu.
Zerbebt gar das Ganze?
So trügt es dir Leben,
im Dunkel spaltet der Zeiger die Zeit.
Ein Steigen, ein Bitten,
und du bleibst nur Zeichen,
die Brücke zwischen zwei Hälften der Nacht.
Alles würd ich geben in diesem Moment, für das Falsche.
Im Zug nach Prag. Keiner deiner Sätze mehr im Telefon. Auf dieser rasenden Zugfahrt alle vom Fahrtwind aus den Speichern gerissen. Zerschmettert liegen sie nun da, Wort für Wort um die Gleise verstreut und mit jeden Atemzug entfernen sie sich weiter. Erleichterung. Bald wird der erste Schnee darauf fallen.
Rückweg: Als ich wieder an der Stelle vorbeifahre, blicken mich zwei Sätze an, fast unversehrt liegen sie da im Schmutz. Ich kann nicht anders, nehme sie nahe zu mir.
Sie lauten: „Deine Nähe ist mein Glück.“ und „Deine Zartheit berührt mich zutiefst“.